Donnerstag, 29. März 2012

Die Barmherzigkeit Gottes


"...letzter Rettungsanker für die Welt"

P. Bernhard Speringer ORC
Beitrag für das St. Josephsblatt April 2012


Als der sel. Papst Johannes Paul II 1997 das Heiligtum der Barmherzigkeit in Lagiewniki bei Krakau besuchte und einweihte, hat er das mit folgenden Worten getan:

„Der Mensch braucht nichts mehr als die Barmherzigkeit Gottes, also jener Liebe, die das Gute will, die den Menschen trotz seiner Schwachheit zu Gott erhebt. An diesem Ort werden wir uns dieser Notwendigkeit ganz besonders bewusst. Von hier ist die Botschaft der Barmherzigkeit Gottes ausgegangen, die der Herr selbst der Menschheit durch Sr. Faustina mitteilen wollte. Es ist eine klare und für alle verständliche Botschaft. Jeder, der hierher kommt oder einfach das Bild des barmherzigen Jesus betrachtet spürt in sich das, was der Herr zu Sr. Faustina gesagt hat: ‚Fürchte nichts. Ich bin immer bei Dir‘. (TB q. II). Und wir sind eingeladen zu antworten: ‚Jesus, ich vertraue auf Dich.‘“
Und der Papst fährt fort: „Niemals und in keinem Augenblick der Geschichte der Menschheit darf die Kirche das Gebet um die Barmherzigkeit Gottes vergessen, gerade heute angesichts der vielen Gefahren, die die Menschheit bedrohen. Je mehr die Menschen die Bedeutung der Barmherzigkeit Gottes vergessen, um so mehr entfernen sie sich von Gott.“
Wie es im Tagebuch der hl. Schwester Faustina festgehalten ist, bezeichnete Jesus die Zuflucht zu seiner Barmherzigkeit wiederholt als „letzten Rettungsanker für die Menschheit“.
Ohne Scheu setzt der selige Papst die Barmherzigkeit Gottes als Mittel zur Lösung weltpolitischer Probleme ein, eine Lösung, die ihre Wurzeln in einer mystischen Frömmigkeit hat. Ein solcher Schritt erfordert ein kindliches Vertrauen in die Worte Jesu, die er durch eine einfache Ordensschwester an die ganze Welt gerichtet hat: "ICH ERSEHNE, DASS DIE GANZE WELT MEINE BARMHERZIGKEIT ERKENNT" (Tagebuch, 687).
Es darf dabei als Fügung betrachtet werden, dass Johannes Paul II. vor seiner Wahl zum Papst den Fall der übernatürlichen Erlebnisse von Schwester Faustina geprüft und nach jahrzehntelanger intensiver Beschäftigung mit der Materie zur kirchlichen Anerkennung geführt hat. So erklärte er bei seinem Amtsantritt, sein Pontifikat solle ein großer Lobpreis auf die Barmherzigkeit Gottes werden. Dieses Programm unterstrich er durch die Enzyklika „Dives in misericordia Deus“ - „Reich ist Gott an Barmherzigkeit“. Welche Freude war es, als der Papst seine Entscheidung, dass der Sonntag nach Ostern als Sonntag der Barmherzigkeit Gottes gefeiert werden soll, im Rahmen der Heiligsprechung von Sr. Faustina bekanntgab.
Was hat den Papst dazu bewegt? Ich denke, der Papst möchte die Kirche und die Menschen zu einem richtigen Gottesbild führen. Jeder einzelne muss sich immer wieder die Frage stellen, welches Bild wir von Gott haben.
  • Ist Gott für uns der „Mann im Himmel“, der für uns Menschen strenge Gebote erlassen hat und nur darauf wartet uns zu bestrafen, wenn wir sündigen? Ist Gott derjenige, der meine Freiheit einschränkt; mir nicht erlaubt, so zu leben, wie ich es will?
  • Oder ist Gott für mich der Vater, der mich liebt? Der Vater, dem ich wichtig bin, der mich glücklich machen will.
  • Ist Gott für mich ein barmherziger und gütiger Gott  - oder  der strafende Rächer?
Schon das Wort Barmherzigkeit sagt viel über das Wesen Gottes aus – wer Gott ist. In diesem Wort stecken zwei andere Wörter, nämlich „Erbarmen“ und „Herz“: Barm (Erbarmen) – herzigkeit (Herz): Gott hat Erbarmen mit uns, er hat ein Herz für uns.
Noch schöner kommt das Wesen Gottes im lateinischen Begriff für Barmherzigkeit zum Ausdruck: „misericordia“. Miseri (Not, Misere) und -cordia (cor, Herz). Gott hat ein Herz für unsere „Misere“, für unsere Not.

Gott ist weder Urheber des Bösen noch ist das Böse, seien es jetzt Kriege, Katastrophen oder persönliche Schicksalsschläge Strafen Gottes. Im Gegenteil. Gott hat ein Herz für uns und unsere Nöte und es schmerzt ihn, wenn wir zu leiden haben. Aber wir Menschen haben eben die Freiheit. Wir können uns für das Gute entscheiden, was Gott freut, - aber wir haben auch die Freiheit uns für das Böse zu entscheiden. Das schmerzt Gott, aber er respektiert unsere Freiheit und lässt es zu.

Und Gott kann selbst aus dem schlimmsten Übel noch Gutes wirken. Das größte Unrecht, die größte Sünde, welche in der Geschichte der Menschheit je geschehen ist, war, den Sohn Gottes ans Kreuz zu schlagen. Aber gerade dadurch hat Gott uns erlöst. Das ist die „glückliche Schuld“, von der das Exultet in der Osternacht kündete: „O glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden.“
Die Barmherzigkeit Gottes fordert uns immer wieder heraus, barmherzig zu sein mit unserem Nächsten, mit den Schwächen und Fehlern des Mitmenschen. Barmherzigkeit heißt ja nicht: das Unrecht gutheißen, die Sünde ignorieren oder unter den Teppich kehren. Barmherzigkeit bedeutet immer ein „trotzdem“. So wie Gott uns trotzdem liebt, trotz unserer Sünden und Schwächen, so sollen auch wir den Nächsten trotzdem lieben.
Und bedenken wir dabei, dass wir selbst es sind, die immer wieder auf die Barmherzigkeit Gottes angewiesen sind. Je mehr wir uns unserer eigenen Schwachheit bewusst sind, je mehr wir auch erfahren, wie Gott mit uns barmherzig ist, um so leichter wird es uns fallen, unserem Mitmenschen – auch dem, der sich gegen uns verfehlt hat – Barmherzigkeit zu zeigen.
Denn wir alle brauchen letztlich die Barmherzigkeit Gottes. Wir alle dürfen und sollen den vom Himmel angebotenen „Rettungsanker für die Menschheit“ zu ergreifen. Der Rettungsanker ist nicht das Bild selbst. Das wäre eine verhängnisvolle, ja sogar magische Vereinfachung. Der Rettungsanker ist allein die Barmherzigkeit Gottes. Und nur durch ein echtes Vertrauen ebnen wir der barmherzigen Liebe den Weg.
In diesem Sinn ist auch die von Jesus selbst gewünschte Bildunterschrift zu verstehen: „Jesus, ich vertraue auf Dich!“ So ist das Bild mit dem gütigen Blick Jesu und seinem geöffneten Herzen zunächst eine Hilfe, unsere Aufmerksamkeit auf die Barmherzigkeit Gottes zu richten und unser Vertrauen auf sie zu setzen.
Darüber hinaus will Gott, dass wir Menschen eindeutig erkennen, woher unsere Rettung kommt. Nur so können wir ihm für seine barmherzige Liebe entsprechend danken. Deshalb gibt er uns die äußeren Zeichen und verbindet deren Annahme mit göttlichen Verheißungen. Wer sich darauf einlässt und die versprochenen Gnaden empfängt, wird dadurch die Macht seiner Barmherzigkeit entdecken und tiefer in das Geheimnis seiner Liebe eindringen.
"Aus Meiner Barmherzigkeit schöpft man Gnaden mit nur einem Gefäß - und das ist das Vertrauen. Je mehr eine Seele vertraut, um so mehr bekommt sie. Seelen, die unbegrenzt vertrauen, sind Mir eine große Freude, denn in solche Seelen gieße Ich alle Meine Gnadenschätze. Es freut Mich, dass sie viel verlangen, denn es ist Mein Wunsch, viel zu geben, und zwar sehr viel. Es betrübt Mich dagegen, wenn die Seelen wenig verlangen und ihr Herz verengen" (Tagebuch, 1578).


Gebet von Johannes Paul II. in Krakau
(Einweihung des Heiligtums der Barmherzigkeit)

Gott, barmherziger Vater,
Du hast Deine Liebe
in Deinem Sohn Jesus Christus offenbart
und über uns im Heiligen Geist,
dem Tröster, ausgegossen,
Dir vertrauen wir heute die Geschicke
der Welt und jedes Menschen an.
Neige Dich zu uns Sündern herab,
heile unsere Schwäche,
besiege alles Böse,
hilf, dass alle Menschen
der Erde Dein Erbarmen erfahren und in Dir,
dem dreieinigen Gott,
die Quelle der Hoffnung finden.
Ewiger Vater,
um des schmerzvollen Leidens
und der Auferstehung Deines Sohnes willen,
habe Erbarmen mit uns
und mit der ganzen Welt.
Amen.

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