Mittwoch, 14. September 2011

Ist die Kirche tolerant?










Original von P. Bernhard Speringer ORC erschien im "Schweizerisch Katholischen Sonntagsblatt" (SKS, Goldach) und auf www.kath.net .

In den letzten Wochen haben katholische Medien zunehmend besorgniserregende Beiträge gebracht. Über einen deutschen Politiker, der laut darüber nachdenkt, das Beichtgeheimnis in Gerichtsverfahren aufzuheben. Über einen anglikanischen Bischof, der zu einer enormen Geldbusse verurteilt wurde, weil er keinen Homosexellen in den diözesanen Dienst aufnehmen konnte (wobei die Homosexualität nicht einmal der Grund für die Ablehnung war). Über den neuen Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, der mit seinen Aussagen die leidige Zölibatsdiskussion wieder entfachte. Und was erwartet man von den Medien? Toleranz!
Es gibt heute nichts Wichtigeres, dass man von der Kirche und ihren Vertreten sagen können muss, als dass sie tolerant sind. Ein toleranter Bischof, oder ein Priester, der sehr tolerant ist... In der heutigen Gesellschaft scheint das das größte Kompliment zu sein. Dabei ist Toleranz eher eine neuere „Tugend“. Toleranz ist im menschlichen Zusammenleben zugegebenermaßen absolut notwendig und wichtig. Gerade in einer globalisierten und multikulturellen Welt und Gesellschaft sind Toleranz und gegenseitige Achtung das Fundament für ein friedliches Zusammenleben.

Heutzutage hat die „Tugend der Toleranz“ jedoch gewissermaßen alle anderen Tugenden überflügelt. Die Toleranz ist in aller Munde. Nur hat das Wort Toleranz eher den Sinn erhalten: alles gelten lassen, alles widerspruchslos akzeptieren. Das Gegenstück der Toleranz, die Intoleranz, wurde zu einem der schlimmsten Vorwürfe, die man jemandem machen kann. Wie sieht die Toleranz aus christlicher Sicht aus?

War Jesus tolerant?


Schon bald nach der Geburt Jesu, bei Seiner Darstellung im Tempel, wird über ihn das prophetische Wort gesprochen: ,,Dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird.“ (Lk 2,34) Wir wissen, wie bald sich der Widerspruch gegen Christus regte...
Jesus, der die größten Sünder an- und aufnimmt, kann auch sehr intolerant sein. Beim Ruf zur Nachfolge toleriert er nicht einmal, dass der Gerufene noch zum Begräbnis seines Vaters geht! Wenn wir den Herrn beobachten in Seinem Verhalten gegenüber den Schriftgelehrten und Pharisäern und ihrer Verschlagenheit, dann ist da ein anderer Ton zu hören. Er, der die Armen achtmal selig preist, schleudert jenen das ,Weh euch!’ entgegen.
Oder denken wir an das „Evangelium von der Vertreibung der Händler aus dem Tempel“.. Nach dem Evangelist Johannes geschah diese Episode gleich zu Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu. Es war wahrscheinlich das erste öffentliche Auftreten Jesu in Jerusalem.

Der Tempel war im Volk Israel mehr als nur ein Gebäude. Der Tempel war der Ort der Gegenwart Gottes, der Ort des Gebetes und des Gottesdienstes. Aber so wie heute gab es auch schon damals das Phänomen, dass man überall dort, wo sich viele Menschen versammeln, versucht, Geschäfte und Profit zu machen. Denken wir nur an unsere Wallfahrtsorte, die manchmal richtig umzingelt sind von Devotionalienläden.
Im Palästina zur Zeit Jesu musste jeder Mann ab dem 20. Lebensjahr eine Tempelsteuer entrichten, die eine Doppeldrachme betrug, also ungefähr zwei Tageslöhne eines Arbeiters. Diese Steuer konnte aber nicht in der üblichen römischen Währung (Besatzungsmacht!) bezahlt werden, sondern nur mit althebräischen Münzen. Deshalb gab es Geldwechsler vor dem Tempel, die mit der Zeit immer mehr innerhalb der Tempelanlage ihre Tische aufstellten.
Ebenso die Verkäufer. Zu gewissen Festen waren vom Gesetz auch Tier- und Speiseopfer vorgeschrieben. Deshalb machten die Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben ihr Geschäft im Tempel. Man kann sich also lebhaft vorstellen, dass es im Tempel eher wie in einer Markthalle zuging, als wie in einem Haus des Gebetes.
Auf diesem Hintergrund ist die Reaktion Jesu verständlich. Es heißt im Matthäusevangelium: „Jesus ging in den Tempel und trieb alle Händler und Käufer aus dem Tempel hinaus; er stieß die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler um und sagte: In der Schrift steht: Mein Haus soll ein Haus des Gebetes sein. Ihr aber macht daraus eine Räuberhöhle.“ (Mt 21,12-13)
Man hat aus dem Haus Gottes, aus dem Haus „des Vaters“, eine Markthalle gemacht. Man dachte mehr an den eigenen Profit als an den Gottesdienst. Jesus, der Sohn Gottes, konnte ein solches Verhalten nicht tolerieren. Wenn man diese Episode im Leben Jesu betrachtet, mag man sich die Frage stellen: War Jesus tolerant? Die Antwort ist nicht ganz einfach.
Jesus kann auch unerbittlich sein, wenn es um den Glauben geht, zum Beispiel um den Glauben an die Eucharistie. Er besteht auf dem wortwörtlichen Glauben: „Mein Fleisch ist wirklich eine Speise, mein Blut ist wirklich ein Trank ... Wenn ihr das Fleisch des Menschensohns nicht esst und Sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch...“ (Joh 6,53.55).
Und als ihn die Zwölf erschrocken und wohl verständnislos anstarren, lenkt er nicht ein, sondern stellt ihnen die Frage: „Wollt auch ihr weggehen?“ Man könnte noch viele Stellen anführen, wo Jesus eher intolerant scheint. Nämlich intolerant dort, wo es um die Ehre Gottes geht, um Wahrheit oder Lüge. Ja, für die Wahrheit geht Jesus sogar in den Tod.

Toleranz – ein Frage der Liebe und der Wahrheit

Der heilige Augustinus hat einmal eine sehr schöne Regel aufgestellt, die zu allen Zeiten gültig ist. Er sagte sinngemäß: Wir sollen den Sünder lieben, aber die Sünde hassen. Wir sollen den, der auf Abwege geraten ist lieben, aber nicht die Abwege. Die Toleranz im christlichen Sinn ist deshalb immer eine Frage der Liebe.
Die Liebe duldet nicht die Lüge, denn dann wäre sie keine Liebe. Wenn jemand auf dem falschen Weg ist, ist es eine Frage der Liebe, ihn zur Umkehr zu bewegen, und keine Frage der Toleranz, ihn ins Verderben laufen zu lassen. Man kann zum Beispiel nicht tolerieren, dass jemand beim Schifahren in einen gefährlichen Lawinenhang einfährt und damit sich selbst und auch andere gefährdet. Das ist keine echte Toleranz.
Nicht anders ist es auch in Glaubensfragen, in Fragen der Ethik und Moral. Heutzutage toleriert man einfach alles und man fordert diese nicht in der Wahrheit stehende Toleranz genauso von der Kirche, von den Bischöfen, Priestern und von den Gläubigen. Im Namen einer falschen Toleranz geschehen die infamsten Schmähungen Gottes in der Kunst oder in den Medien. Für jede Perversion hat man Verständnis und fordert dafür Freiheit und Toleranz.

Ist die Kirche tolerant?

Eine solche falsche Toleranz kann es selbst in der Kirche geben: Bischöfe „tolerieren“ verschiedenste Ehrfurchtslosigkeiten in den Kirchen und in der Liturgie, ein großer Teil der Katholiken „toleriert“ sogar Abtreibung, Euthanasie. Immer wieder wird der Kirche vorgeworfen, sie sei zu intolerant gegenüber gewissen gesellschaftlichen Veränderungen.
Aber es ist keine Frage der Toleranz, wenn die Kirche sich gegen Irrtümer wendet. Es ist eine Frage der Wahrheit und der Liebe. Und so muss man der Kirche, dem Papst, den Bischöfen und jedem einzelnen Christen auch erlauben, wenn es notwendig ist warnend aufzutreten und Grenzen aufzuzeigen, ohne gleich als intolerant oder „ewig-gestrig“ eingestuft zu werden.
Als vor einigen Jahren die Senatsperiode in Kansas/USA eröffnet wurde, hat das Parlament den Pastor Joe Wright für die Eröffnungsrede eingeladen, und er sprach folgendes Gebet, das weltweit sehr viel Aufsehen erregt hat: 

„Vater..., dein Wort sagt: Wehe jenen, die das Böse gut nennen. Doch gerade das haben wir getan. Wir haben unser geistiges Gleichgewicht verloren und die Werte auf den Kopf gestellt. Wir haben die absolute Wahrheit Deines Wortes lächerlich gemacht und das Pluralismus genannt; haben die Armen ausgebeutet und es Wirtschaft genannt, haben die Faulheit belohnt und es Soziale Wohlfahrt genannt; haben unsere Ungeborenen umgebracht und es Wahlfreiheit genannt, haben unseren Kindern keine Disziplin beigebracht und es Aufbau des Selbstwertes genannt, haben Macht missbraucht und es Politik genannt, haben das Eigentum unseres Nachbarn begehrt und es Ehrgeiz genannt; wir haben die Luft mit Lügen verschmutzt und es Freiheit der Meinungsäußerung genannt; haben die zeitlosen Werte lächerlich gemacht und es Aufklärung genannt. Durchforsche uns, o Gott, und erkenne unsere Herzen. Reinige uns und mach uns frei.“ 

Joe Wright bekam 5.000 Anrufe – nur 47 waren negativ... Bitten wir den Herrn, dass wir immer zwischen wahrer und falscher Toleranz unterscheiden können und dass all unser Tun und Denken von der Liebe beseelt wird.

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